Lexikon der Psychopneumologie – L wie Langzeit-Sauerstofftherapie
- On 5. Juni 2020
Langzeit-Sauerstofftherapie (= LTOT, englisch: long-term oxygen therapy) ist eine anerkannte Therapiemaßnahme (vor allem bei Patienten mit COPD). Sie kann für Patienten und Angehörige eine erhebliche emotionale Belastung darstellen.
Was steckt hinter dem Wortungetüm „Langzeit-Sauerstofftherapie“?
Langzeit-Sauerstofftherapie (= LTOT) bedeutet die Gabe von Sauerstoff als therapeutische Maßnahme bei chronischer Hypoxämie (= Sauerstoffmangel im Blut).
Ziele der LTOT sind:
- verbesserte Lebensqualität
- höhere Leistungsfähigkeit
- geringere Morbidität (= Erkrankungsrate)
- reduzierte Mortalität (= Sterblichkeitsrate)
Wann ist eine LTOT nach derzeitigem Kenntnisstand indiziert?
Aktuell gültige Leitlinien empfehlen LTOT für chronisch hypoxämische Patienten mit einem arteriellen Sauerstoffpartialdruck (PaO₂) von weniger als 55 mmHg. Die LTOT sollte über die Dauer von mindestens 15-16 Stunden pro Tag (besser 24 Stunden täglich) erfolgen. Dies umfaßt auch die gezielte Sauerstoffgabe bei körperlicher Belastung und während der Nacht.
Nachgewiesene und vermutliche therapeutisch gewünschte Effekte von LTOT gibt es bei:
- chronischer Hypoxämie
- Hypoxämie bei Belastung (z. B. im Rahmen eines körperlichen Training-Programms)
- Normoxämie (= normaler arterieller Sauerstoffpartialdruck) bei körperlichem Training
Eine deutsche Leitlinie zur Langzeit-Sauerstofftherapie wird derzeit erarbeitet. Die Veröffentlichung ist für Ende September 2020 angekündigt.
Wie erfolgt die Langzeitgabe von Sauerstoff?
Sauerstoff wird im häuslichen Umfeld hauptsächlich über zwei Wege verabreicht, und zwar über:
- Konzentratoren (in Gestalt von feststehenden oder mobilen Geräten)
- Flüssigsauerstoff (mit begrenzter Nutzungsdauer der Geräte und Abhängigkeit von Nachfüllstationen)
Die Sauerstoffgabe erfolgt in der Regel über eine sogenannte Nasenbrille (einen dünnen Silikonschlauch) – entweder durch einen kontinuierlichen Fluß oder (nach individueller Testung auf Eignung) durch ein Demand-System stoßweise bei der Einatmung.
Wie wirkt LTOT auf das emotionale Befinden?
Wird die Indikation sorgfältig geprüft, sprechen viele Befunde für einen klinischen und prognostischen Nutzen der Langzeit-Sauerstofftherapie bei bestimmten Patienten mit chronischen Lungenerkrankungen.
Es gilt jedoch immer wieder zu fragen: Wie gestaltet sich das Verhältnis von Vorteilen zu psychosozialen Folgen?
Denn häufig stecken die mutmaßlichen und tatsächlichen psychosozialen Auswirkungen hinter der immer noch dürftigen Adhärenz-Rate (= Therapietreue) bei LTOT. In einer aktuellen Studie wird diese bei ca. 40% verortet.
Als Hauptursachen der Non-Adhärenz (= fehlenden Therapietreue) gelten folgende psychosoziale Faktoren:
- Selbstwertverlust, Scham, Stigma
- Angst vor Abhängigkeit und Autonomieverlust
- soziale Isolation
- Depression
Die erwähnten Ursachen verstärken sich teilweise untereinander in Form von Teufelskreisen: Stigma-Erfahrungen erzeugen Scham und reduziertes Selbstwertgefühl. Dies führt zu sozialer Isolation, die ihrerseits depressive Störungen verursacht oder verschlimmert. Angst vor Abhängigkeit und Autonomieverlust (z. B. durch erschwerte Mobilität) zeigen ebenfalls negative emotionale Auswirkungen.
LTOT ist nicht nur auch eine Herausforderung für die Patienten.
Von einer LTOT-Verordnung sind nicht nur die Patienten selbst, sondern auch die Angehörigen betroffen.
Durch fehlende Akzeptanz, Ängste, Ärger, Frustrationen bei allen Beteiligten kann es zu einem erhöhtem Konfliktpotential und einer Belastung der Beziehungen kommen. Eine Langzeit-Sauerstofftherapie erfordert ausgeprägte partnerschaftliche Anpassungsleistungen.
Da das persönliche soziale Umfeld den Umgang mit der LTOT-Verordnung nachweislich beeinflußt, ist ein Augenmerk auf das individuelle Bewältigungsverhalten (= Coping) und das gemeinschaftliche Bewältigungsverhalten von Partnern (= Dyadisches Coping) wichtig und wegweisend.
Fazit für die psychopneumologische Praxis
- Die Verordnung von LTOT wird von Patienten und Angehörigen häufig als einschneidend erlebt. Es erscheint naheliegend, in diesem Zusammenhang vermehrt akzeptanzfördernde Interventionen anzubieten.
- Die Adhärenz bei LTOT wird wesentlich von den Einstellungen und Kompetenzen des sozialen Umfeldes beeinflußt. Deshalb sollten sowohl individuelles Coping als auch Dyadisches Coping gezielt unterstützt werden. Hierzu bieten sich beispielsweise maßgeschneiderte Problemlöse-Trainings an.
Ein solches Angebot stärkt u. a. die folgenden Grundhaltungen:
- die Einsicht, daß Problemsituationen zum Leben dazugehören
- die Überzeugung, daß man Problemsituationen aktiv meistern kann
- die Bereitschaft, Problemsituationen im Augenblick ihres Auftretens wahrzunehmen und anzunehmen
- die Entschlossenheit, bei Problemsituationen impulsives Handeln zu unterlassen.
- Die gesellschaftliche Akzeptanz von LTOT hängt vermutlich auch davon ab, inwieweit Patienten zu einem selbstbewußten Umgang mit der Langzeit-Sauerstofftherapie ermutigt werden. Dies geschieht bereits vorbildlich durch Selbsthilfe-Gruppen (z. B. die Sauerstoffliga).
Mit herzlichen Grüßen von Monika Tempel [Sauerstoff und Sinn] www.monikatempel.de
0 comments on Lexikon der Psychopneumologie – L wie Langzeit-Sauerstofftherapie