Im Blog-Beitrag „Alpha-1-Antitrysin-Mangel und die Psyche: Belastungen – Bedürfnisse – Behandlungsperspektiven (Teil 1)“ erfährst Du Hintergründe zu diesem Thema und lernst die drei „Alphas“ kennen, die von ihren Belastungen und Bedürfnissen im Zusammenhang mit der AATM-Diagnose berichten.
Hier noch einmal die wichtigsten Hintergrund-Informationen:
Einige Erfahrungen von AATM-Patienten und ihren Angehörigen ähneln sich. Manchen Erfahrungen unterscheiden sich jedoch. Sie sind so unterschiedlich wie die persönliche oder gesellschaftliche Situation der Betroffenen. Allen gemeinsam ist die Erfahrung, daß ein Leben mit der seltenen Erkrankung Alpha-1-Antitrypsin-Mangel für Patienten und Angehörige eine ganz besondere Herausforderung darstellt. Dies gilt in hohem Maße auch für Belastungen im Hinblick auf AATM und die Psyche.
Im Verlauf von chronischen, bisher nicht heilbaren und mitunter lebenszeitverkürzenden Erkrankungen gibt es mehrere Phasen und Schwellensituationen.
Beispielhaft und stark schematisierend (!) dargestellt sind dies:
Im zweiten Blog-Beitrag dieser Reihe kannst Du die Inhalte zu den Themen Motivation, Adhärenz, Akzeptanz und Selbst-Management nachlesen.
Der folgende, dritte Blog-Beitrag dieser Reihe vermittelt zunächst kurz einen Eindruck von den geschilderten psychischen Belastungen im weiteren Krankheitsverlauf. Im Anschluß versucht er, die zugrundeliegenden Bedürfnisse zu ermitteln, um schließlich ein wünschenswertes, idealtypisches Angebot aus dem Repertoire der Psychopneumologie vorzuschlagen.
Wichtiger Hinweis: Die Vorschläge sind überwiegend erfahrungsbasiert und nur als Anregung zu einem lebhaften Austausch gedacht, um Menschen mit Seltenen Erkrankungen eine möglichst umfassende Unterstützung im Krankheitsverlauf bieten zu können.
„… es war sehr deprimierend, an der Seitenlinie zu sitzen und zuzusehen, wie andere Leute das tun, was ich hätte tun sollen…
… Psychisch war es sehr schwierig, jeden Tag mit einem Sauerstoffschlauch um das Gesicht herauszugehen. Das ist etwas, was man von älteren Menschen erwartet,
aber nicht von jemandem in meinem Alter. Zu Beginn fand ich es sehr peinlich, und es war sehr schwierig für mich zu wissen, dass meine Kinder und meine Frau mich so sehen mussten. Ich fragte mich, was sie wohl jetzt von mir denken?...
… Ich ziehe tatsächlich inzwischen eine Lungentransplantation in Betracht. Ich hatte eine Doppel-Lungenuntersuchung, und wenn nicht COVID-19 gewesen wäre, hätte ich vielleicht schon den Sprung gewagt. Ich habe große Angst , ich mache mir Sorgen über die Narbenbildung und die Verantwortung, die ich nach der Transplantation gegenüber der Familie des Spenders habe, und über die Notwendigkeit, die Sache zum Erfolg zu führen…“
(Michael Bartlett)
Der englische Begriff für die Verarbeitung von Streß-Erfahrungen lautet „Coping“. Als Fachausdruck wird dieser Begriff in der klinischen Psychologie auch für den Prozeß der Krankheitsverarbeitung benutzt. Denn vor allem Patienten mit chronischen Erkrankungen müssen eine Vielzahl von Belastungen (akuten und chronischen Streß-Erfahrungen) bewältigen.
Viele AATM-Patienten müssen sich beispielsweise mit dauerhaft abnehmender Leistungsfähigkeit arrangieren. Oder es wird die Anpassung an einschneidende Therapie-Maßnahmen erforderlich (wie die Einleitung einer Langzeit-Sauerstofftherapie, einer nicht-invasiven Beatmung oder die Listung für eine Lungen- oder Lebertransplantation).
Diese Konstellationen verlangen erhebliche Coping-Fähigkeiten, sowohl im Hinblick auf das individuelle Coping des Betroffenen, als auch im Hinblick auf das gemeinschaftliche Coping von Patient und Partner (Dyadisches Coping).
Für beide Coping-Aspekte sollten verhaltensmedizinische und psychosoziale Interventionen im Rahmen des Kollaborativen Ansatzes angeboten werden.
Anknüpfungspunkte bieten sich bei der Pneumologischen Rehabilitation, beim Lungensport oder bei der regelmäßigen (Atem)Physiotherapie. Spätestens bei der stationären Einleitung einer Langzeit-Sauerstofftherapie (LTOT), der nicht-invasiven Beatmung (NIV) oder bei den Listungs-Untersuchungen zur Lungen- bzw. Leber-Transplantation sollte ein Gesprächsangebot mit Blick auf die Krankheitsverarbeitung (ggf. mit einer spezifischen Coping-Testung) erfolgen.
Coping-Interventionen reichen von der einmaligen Psychoedukation über ein krankheitsspezifisches Training der Coping-Fähigkeiten bis zu längerfristigen therapeutischen Begleitungen von Patienten und Paaren.
Die oben erwähnten Anknüpfungspunkte für das Angebot einer Coping-Intervention machen bereits deutlich, daß Probleme mit der Krankheitsverarbeitung am sichersten durch eine multidisziplinäre Zusammenarbeit erfaßt und behandelt werden können.
Diese Erkenntnis gilt sowohl für AATM-Patienten als auch für die betroffenen Angehörigen. Es erscheint deshalb ratsam, zu Gesprächen im Hinblick auf eine Pneumologische Rehabilitation oder einschneidende Therapie-Maßnahmen den betroffenen Patienten immer gemeinsam mit einer vertrauten Begleitperson (meist Angehöriger, Kümmerer) einzuladen und stets das individuelle und das gemeinschaftliche Coping einfühlsam anzusprechen.
Bei erkennbarem Unterstützungsbedarf können dann unmittelbar Coping-Interventionen angeboten werden.
Hilfreich sind in diesem Zusammenhang möglicherweise auch Hinweise auf geeignete Angebote der Selbsthilfe. So stellt beispielsweise die Patienten-Organisation „Alpha-1 Deutschland“ Videos und Podcasts zum Thema „Coping“ (Umgang mit der Krankheit, Kommunikation, Resilienz) zur Verfügung – teilweise in unterschiedlichen Versionen für Patienten und Angehörige.
Hier der LINK zu den Videos und Podcasts von „Alpha-1 Deutschland“
Gelingendes Coping braucht eine gelingende Kommunikation! Für Angehörige findet sich auf der Website von „Alpha-1 Deutschland“ deshalb ein spezieller „Kommunikations-Leitfaden für Alpha-1-Kümmerer“ zum kostenlosen Download.
„… Es gibt keine spezifische Behandlung für AATD in Groß Britannien, und das ist
das wirklich Schwierige daran…
… Ich habe über die Jahre eine Menge Freunde gefunden, und es gibt viele Menschen, die mit mir auf diese Reise gegangen sind, und auch viele Menschen, die leider nicht mehr unter uns sind…“
(Michael Bartlett)
Die Angst vor Verschlechterung (Progredienz-Angst) kann laut Studien in allen Krankheitsstadien auftreten. End-of-Life-Ängste (also die Angst vor Leiden, Sterben, Tod) sind eher bei weit fortgeschrittener Erkrankung möglich.
Für den Umgang mit Progredienz-Angst gibt es inzwischen maßgeschneiderte Programme, die bei Bedarf im Rahmen der Kollaborativen Versorgung angeboten werden können.
Unterstützung beim Umgang mit End-of-Life-Ängsten ist fester Bestandteil einer spezialisierten palliativen Versorgung. In der Palliativmedizin und in der (eng damit verknüpften) Schmerztherapie bewährt sich der multidisziplinäre Ansatz bereits seit langem. Für den Umgang mit fortgeschrittenen Erkrankungsstadien könnten diese Erfahrungen auch im Rahmen der Kollaborativen Versorgung bei AATM genutzt werden.
Gerade die Herausforderung einer fortgeschrittenen chronischen Erkrankung und die Belastungen im Hinblick auf die letzte Lebensphase haben erhebliche Auswirkungen auf das psychische Befinden von Patienten und Angehörigen. Ein entsprechendes psychosoziales Unterstützungsangebot kann die Belastungen nicht eliminieren. Es kann aber, falls es individuell und zeitgerecht eingesetzt wird, zu einer Verminderung der Ängste und einer Verbesserung der Lebensqualität beitragen.
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